ist analytisch orientierte systemische Familientherapeutin und psychotherapeutische Heilpraktikerin. Sie arbeitet bevorzugt mit der Methode der systemischen Familienaufstellungen. Schwerpunktmäßig widmet sie sich der transgenerationellen Weitergabe von familiären Traumen und Verhaltensmustern bei psychischen, psychosomatischen und Bindungsstörungen. Ihre Erfahrungen gibt sie in Seminaren, Gruppen- und Einzeltherapien sowie Vorträgen weiter. Darüber hinaus ist die Diplom-Volkswirtin und frühere Kulturredakteurin als Coach und Beraterin tätig und verfasst regelmäßig psychologische Analysen für die BZ. Die Mutter von zwei Kindern lebt und arbeitet in Berlin.
Psychische und körperliche Probleme wurzeln nach Ihrer Erfahrung oft in übernommenen Familienmustern und alten Traumata, die vor Generationen in den Familien erlitten wurden. Wie zeigen sich diese Störungen konkret, und wie verbreitet sind sie?
Weit mehr als die Hälfte aller Deutschen trägt noch an den Folgen der Tragödien des vergangenen Jahrhunderts. Sie leiden unter Depressionen und Angststörungen. Sie sind ungewollt kinderlos. Es fällt ihnen schwer, Bindungen einzugehen. Sie leben mit Süchten, Schmerzen und psychosomatischen Erkrankungen. Zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gibt es Kontaktabbrüche. Bei Kindern zeigen sich Beeinträchtigungen der Lernfähigkeit. Bei weitem nicht alle diese Störungen erklären sich aus der eigenen Biografie.
Übernommene Gefühle beeinflussen nicht nur den Einzelnen, sondern können auch die Psyche einer ganzen Nation prägen. Deutschland gilt als eine depressive Gesellschaft.
Da wir in unseren Familienschicksalen verfangen sind, sind wir nicht frei für die Zukunft. Unsere heutige Geringschätzung kommender Generationen ist offensichtlich. Die Erziehungsarbeit der Mütter wird missachtet. Den kleinen Zappelphilipp stellt man mit Ritalin, einem leistungssteigernden Aufputschmittel, ruhig. Die Schulen sind oft von Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit geprägt. Unsere Hochschulen sind weithin heruntergekommen.
Welche Rolle spielen dabei die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs?
Eine gewaltige. Aber vielleicht machen uns die Nachwirkungen der autoritären Gesellschaft und die im deutschen Namen verübten Verbrechen noch mehr zu schaffen. Das Entsetzen über das, was unsere Vorfahren geschehen ließen oder wozu sie fähig waren, bannt den Blick und engt uns ein. Ob, was und wie viel sie gewusst haben, treibt uns immer noch um. Wir schämen uns und können uns selbst nicht leiden. Da wir überall Schuld finden, gelingt uns kein versöhnlicher Blick auf die Vergangenheit.
Um den Ursachen verschütteter Konflikte auf den Grund zu gehen, arbeiten Sie mit Familienaufstellungen und so genannten Genogrammen, in denen biografische und andere wissenswerte Details aus dem Familienverband zusammengetragen werden. Welche Wirkung hat diese Arbeit?
Sie ist versöhnlich, kann erlösend wirken. Durch die Aufstellungsarbeit wachsen Verständnis und Mitgefühl für die einzelnen Familienmitglieder. Der Blick und das Herz weiten sich. Die Liebe kann auch zu denen wieder fließen, die zuvor ausgegrenzt wurden. So entdecken wir zum Beispiel die enorme Bedeutung längst gestorbener Angehöriger für unser Lebensgefühl. Das Gefüge des vollständigen Familiensystems wird plausibler. Wir können innerlich zur Ruhe kommen, weil wir uns übernommener Gefühle bewusst werden und sie in der Folge ablegen können.
Was können wir noch tun, um uns aus dem Schatten der Vergangenheit zu lösen und wieder ein selbstbestimmtes und glückliches Leben zu führen?
Wir könnten aufhören, zu urteilen und zu verurteilen. Keiner weiß, was „richtig" oder „falsch" ist, wer „besser" oder „schlechter" ist. Aber nur, wer freundlich auf sich selber schaut, kann auch freundlich auf andere schauen. Selbsterfahrung hilft also weiter.
Internet: http://www.gabriele-baring.de/