Interview: Seele und Kosmos (Allegria 4-2011)
geführt von Christian Salvesen
Sie haben ein umfangreiches und grundsätzliches Werk von 640 Seiten verfasst — mit dem Titel „Psychokosmologie". Was ist Ihre Intention? An wen wendet sich das Buch?
Dieses Buch bietet einen neuen Blick auf die menschliche Psyche und damit zahlreiche Impulse zur Selbsterkenntnis, die über das bisherige Wissen und Selbstverständnis des normalen Menschen hinausgehen. Es spannt einen größeren Rahmen auf, in dem die bisherigen, fragmentarischen Kenntnisse der Psychologie endlich einen Sinn machen. Die Psyche wird dabei als eine Ganzheit betrachtet, als ein mehrdimensionales System, das mit umfassenderen Systemen wie Gesellschaft und Kosmos auf vielfältige Weise verbunden ist. Dabei erscheinen nicht nur viele psychischen Störungen in einem neuen Licht, sondern es werden zugleich neue Ansätze zur Heilung und Selbstheilung deutlich. Dieses elementare Wissen möchte ich nicht nur professionellen Helfern, sondern jedem Menschen zugänglich machen, damit jeder weitestgehend die Verantwortung für seine eigene psychische Gesundheit übernehmen kann.
„Der Schlüssel zur wahren Heilung liegt in der Selbsterkenntnis" heißt es in Ihrer Einleitung. Können Sie das erläutern? Was ist wahre Heilung, was Selbsterkenntnis? Was ist Ihre besondere Methode?
Wir können nichts heilen, was wir nicht verstanden haben. Wenn wir an einer psychischen Störung leiden, müssen wir zunächst erkennen, welche Faktoren diese Störung in uns bewirken und aufrechterhalten. Wir müssen ihren Sinn verstehen. Ohne diese Erkenntnis können wir die Mechanismen kaum wirklich auflösen. Alle Versuche kratzen dann meist nur an der Oberfläche der Symptome, oder der Erfolg ist von kurzer Dauer. Die Selbsterkenntnis kann uns letztlich niemand abnehmen, auch wenn andere Menschen uns dabei vielleicht hilfreiche Impulse geben können. Daher lege ich besonderen Wert auf die Introspektion, die bewusste Selbsterforschung. Nur mit der Kraft des eigenen Bewusstseins können wir unser psychisches System wirklich verstehen, es von Grund auf in Ordnung bringen und diese Ordnung bewahren — was erst wahre Heilung bedeuten würde. Und auch andere können wir ja nur höchstens so tief verstehen, wie wir uns selbst verstehen. Wenn wir jemand anderem wirklich helfen wollen, ist Selbsterkenntnis also ebenfalls unabdingbar.
Wollen Sie sagen: Eigentlich kann jeder dem anderen und sich selbst psychologisch helfen?
Ja, genau — soweit er sich über die wesentlichen Aspekte und Zusammenhänge bewusst ist. Das ist im Grunde nicht abhängig von einer konkreten Ausbildung oder einem Titel. Auch wenn in schweren Fällen mitunter eine professionelle Bezugsperson nötig sein mag, gibt es immer auch zahlreiche Möglichkeiten, die wir selbst für uns oder andere nutzen können. Diese sollten wir nicht unterschätzen. Da wir alle Menschen sind, ist das Potenzial für echte Menschlichkeit in uns allen angelegt. Wir müssen uns nur die Mühe machen, es freizulegen und zu entfalten.
Was ist die Kosmologie der Psyche? Und: Was ist gesund — unabhängig von der Norm?
Die Kosmologie der Psyche betrachtet unser inneres „Universum" u.a. als ein Spiegelbild des äußeren Universums. Nach dem Gesetz der Entsprechung wirken die Gesetze des Universums ebenso auch auf uns und in uns. Durch unsere Selbsterkenntnis können wir Aufschluss über grundlegende Gesetze und Strukturen des Universums erhalten — wie auch umgekehrt.
Psychische Gesundheit basiert auf einem natürlichen Gleichgewicht der wesentlichen Kräfte in unserem inneren Kosmos. Diese natürliche Ordnung kann sich individuell an der Oberfläche der Erscheinung ganz unterschiedlich äußern und ist daher durch starre Normen nicht fassbar.
Sie schreiben: Die Gesellschaft ist vom Makrokosmos entfremdet wie der Einzelne von seinem Mikrokosmos. Können Sie das erläutern?
Unsere westliche Gesellschaft hat den Bezug zum Kosmos und zu dem, was über den Menschen hinausgeht, sehr vernachlässigt oder gar verloren. Sie versucht, in ihrer Entfremdung ihre eigenen Gesetze zu erschaffen und durchzusetzen. Die Menschen sind sich kaum über ihre essenzielle Verbundenheit mit unserem Planeten und dem ganzen Kosmos bewusst. Sie folgen der aufdiktierten Ordnung der Gesellschaft. Genauso sieht es im Inneren der Menschen aus: Die meisten sind von sich selbst und ihrer eigenen Natur, ihrem wahren Wesen und ihren eigentlichen Potenzialen ebenso entfremdet. Es sind eigentlich nur zwei Seiten einer Medaille, die sich gegenseitig bedingen. Diese grundlegende Entfremdung führt zu den verschiedensten individuellen und gesellschaftlichen Störungen.
Wollen Sie sagen, dass viele psychische Krankheiten auf einer dualistischen Weltsicht beruhen und zugleich das Potential haben, in die Einheit zu weisen? Können Sie das erläutern?
Genau. Psychische Störungen sind Ausdruck und Folge eines Ungleichgewichts der elementaren psychischen Dimensionen und damit der Unbewusstheit und Entfremdung, die in der Dualität üblich sind. Daher ist jede Störung ein Aufruf und Schlüssel zur Bewusstwerdung und Selbsterkenntnis. Psychische Störungen sind also keine Schande, sondern sie gehören in gewisser Weise zur menschlichen Entwicklung dazu. Aber wenn wir den Sinn der Störung verstehen, können wir die nötigen Schritte unternehmen, um sie zu beheben und mehr ins Gleichgewicht zu kommen. Damit stärken und entfalten wir zugleich unser Bewusstsein.
Hat eine tiefe Erkenntnis Sie auf die Wahrheit der Nichtdualität und diese besondere Anwendung im Bereich der Psychologie gebracht?
Ohne die intensive Auseinandersetzung mit Spiritualität, Neuer Physik, Kosmologie und vor allem tiefe Meditations- und Introspektionserfahrungen hätte ich kaum diesen erweiterten Rahmen erkennen können. Die Notwendigkeit, den gemeinsamen Nenner der Menschenbilder und die grundlegenden Strukturen der Psyche aufzudecken, habe ich aber schon viel früher verspürt. Eigentlich war es diese unstillbare Sehnsucht nach Erkenntnis und Wahrheit, die mich auf meinem Weg immer geführt hat.
Was können wir selbst für unsere eigene Heilung tun?
Einem Betroffenen würde ich vor allem raten, selbst die Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen, die Herausforderung anzunehmen und die gegebenen Möglichkeiten soweit es geht auszuschöpfen — vor allem die Möglichkeiten der Selbsterkenntnis und der grundlegenden kosmischen Gesetze. Jeder kann selbst etwas für sich tun. Die Ansatzpunkte sind zahlreicher, als man oftmals glaubt.
Hilfreiche Impulse, um die Entfremdung zu überwinden und wieder ins Gleichgewicht zu kommen, können z.B. die „Natur und Kosmos" Meditationen geben, die ich zu diesem Zweck entwickelt habe.